Die Sonne

 

 

 

Früh am Morgen ging ich an den Strand, um den Sonnenaufgang zu beobachten.

Ich suchte mir einen geschützten Platz am Fuß einer Düne und ließ mich nieder.

Mein Blick schweifte über das offene Meer, und plötzlich war es so weit:

ein kleiner Lichtfunke blitzte auf und sandte einen Strahl mitten in mich hinein.

 

Mit mir geschah etwas, was mir neu war. Mir wurde bewusst, dass ich nicht nur

der Beobachter des Sonnenaufgangs war. Ich war ein Teil dieses Schauspiels

und mehr noch: ich hatte den Eindruck, ja sogar die Gewissheit, dass sich

dieser Sonnenaufgang nicht nur am fernen Horizont vollzog, sondern tief in

meinem Innern. In mir selbst ging die Sonne auf!

 

Ich bin ein guter Beobachter, ein Mensch mit wachen Sinnen und mit einem

aufmerksamen Geist. Doch was sich jetzt abspielte, hatte ich so noch nicht erlebt. 

Wie soll ich beschreiben, was nicht beschreibbar ist? Was anders war als sonst,

wenn ich etwas beobachtete, war, dass es nichts zu beobachten gab.

Da war nichts Anderes, kein beobachtbares Objekt, keine Erscheinung

vor meinen Augen, nichts, das ich geistig hätte reflektieren können.

Das, was ich beobachtete, war nicht von mir getrennt, denn ich war es selbst!

Ich kam mir selbst zu Bewusstsein.

Die Sonne ging auf: ich selbst ging auf!

Die Sonne erstrahlte als helles Licht: ich selbst erstrahlte als Licht!

Die Sonne breitete ihr Licht über alles aus: ich selbst breitete mein Licht

über alles aus. So war ich selbst überall, denn ich selbst war das Licht!

 

Ich versuche jetzt, etwas in Worte zu fassen, was nicht in Worte zu fassen ist.

Jedes Wort beschreibt ein Objekt, doch ich bin kein Objekt: ich bin das Subjekt,

das hier und jetzt aus sich selbst heraus leuchtet!

Erkennst Du, dass auch Du kein Objekt bist? Du, der oder die Du meine Worte liest,

bist selbst dieses Subjekt, das hier und jetzt aus sich selbst heraus leuchtet!

Betrachte Dich nicht als ein Objekt, sonst bist Du lichtlos und Dir selbst fern.

Du bist das aufmerksame, hellwache Subjekt, Du bist genau in diesem Augenblick

reines Bewusstsein! Ich bin reines, ungetrübtes, hellwaches Bewusstsein, gerade

jetzt!

 

Eine leere Schale bin ich, ohne jeden Inhalt. Sobald ich mich aber als leere Schale

erkenne, sobald ich mich dazu bekenne: „Ja, ich bin die leere Schale!“, füllt die Schale

sich selbst mit Licht. Das Bekenntnis, die leere Schale zu sein, ist das Licht, das die

Schale füllt. 

Ich bekenne: „Ich bin die leere, inhaltslose Schale.“

 

Sieh das Licht!

Bist Du das Licht? 

Bin ich das Licht?

Die Schale selbst ist pures Licht!

Bist Du die Schale aus Licht?

Bin ich die Schale aus Licht?

Wo, sag mir, ist jetzt kein Licht?

Nur Licht, Licht über Licht,

sich selbst überstrahlendes Licht!

 

Die Sonne steht jetzt am Zenit.

Doch in welchem Himmel strahlt die Sonne?

Und welche Welt erleuchtet die Sonne?

 

Wer, ja wer ist die Sonne? 

 

 

 

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