Blütenweiß

 

 

Blütenweiß war ich.

Und groß, unfassbar groß.

 

Ich war allein.

Da es dunkel war,

hätte mich auch niemand sehen können.

 

Doch plötzlich begannen bunte Lichtpunkte

auf mir zu tanzen.

Sie hüpften hin und her.

Sie drehten sich

und leuchteten in allen Farben.

Manche verschwanden wieder so schnell,

wie sie gekommen waren.

Und aus dem Nichts heraus

tauchten wieder neue auf.

Sie breiteten sich

über meine ganze Fläche aus

und formten schöne Bilder.

 

Jetzt war ich nicht mehr allein,

denn viele Menschen kamen,

um sich das bunte Treiben anzuschauen.

Die Menschen erfreuten sich

an dem Tanz der Bilder

und an den Geschichten,

die sie erzählten.

Die Menschen schauten voller Neugier auf mich.

Sie lachten begeistert.

Und manche weinten.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten

über das Leben und seine Schönheit,

über den Verfall und den Tod.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten

über altes Wissen und neue Perspektiven,

über die Fähigkeiten und die Irrwege der Intelligenz.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten,

die zu Herzen gingen,

über die Kraft der Liebe

und über Kummer und Leid.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten

von großer Bedeutung,

die das Leben mit Sinn erfüllten.

Manche Geschichten aber

zogen die Menschen in ihren Bann

und ließen sie nicht mehr los.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten,

die erzählten, was es heißt,

mit sich und der Welt in Einklang zu sein,

oder sich im Anderssein aufzureiben.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten,

die dazu ermutigten,

den eigenen Weg zu gehen,

und über das Schicksal von Menschen,

die sich aufgegeben hatten.

 

Ich zeigte ihnen Geschichten,

die alle Illusionen entlarvten

und die Wahrheit zu erkennen gaben,

aber auch über Wege,

die in den Abgrund führten.

 

Ich verbarg nichts.

Ich offenbarte alles.

 

Viele fühlten sich gut unterhalten,

manche ließen sich inspirieren,

andere waren enttäuscht.

 

Jede Geschichte hatte ein Ende.

Die bunten Bilder blieben stehen,

und die Lichter erloschen.

Ich war wieder leer.

 

Unversehens wurde es hell,

und ein gleißendes Licht

erfüllte den Raum.

 

Jetzt konnte jeder sehen,

dass ich weiß war.

Ich strahlte in meinem schönsten Weiß.

Doch niemand nahm mich wahr.

 

Die Menschen waren gekommen,

um die bunten Bilder zu sehen.

Sie gingen,

ohne von mir Notiz zu nehmen.

 

Ich war wieder allein.

Und niemand konnte mich mehr sehen.

Aber ich wusste,

dass ich weiß war.

Blütenweiß.

 

 

 

22.2.2011