Der Flötenspieler

 

 

 

Neulich unternahm ich  einen Waldspaziergang.

Dabei geriet ich auf einen Weg,

der sich allmählich im Dickicht verlor.

Als ich für einen Moment ratlos im Wald stand,

drangen plötzlich helle Flötentöne an mein Ohr.

Das gefühlvolle und virtuos improvisierte Spiel 

berührte mich in meinem Innersten.

 

So deutlich, wie ich die Musik hörte,

konnte der Flötenspieler nicht weit von mir entfernt sein.

Ich ging den Klängen nach

und bahnte mir einen Weg durch das dichte Unterholz,

bis sich vor mir eine kleine Lichtung auftat.

Mitten auf der Lichtung saß von der Sonne beschienen ein Mann,

der völlig in sein inbrünstiges Flötenspiel versunken war.

 

Offenbar schien der Flötenspieler aber doch meine Nähe zu spüren.

Er blickte auf und lud mich mit einer freundlichen Geste ein,

näher zu kommen.

Ich ging also zu ihm hin und bekundete,

wie gut mir sein Spiel gefiel,

und wie sehr mich sein Können beeindruckte.

 

Der Flötenspieler zeigte mir sein Instrument

und wies auf die Öffnungen im Rohr der Flöte.

„Durch diese Öffnungen“, so sprach er mich an,

„strömt der Atem Gottes.

Nicht ich bin es,

der diese Flöte spielt,

GOTT selbst ist der Spieler.

Ich stelle mich ihm nur zur Verfügung!

Bist Du Dir darüber im klaren, 

dass jeder Mensch

eine Flöte in der Hand Gottes ist,

also auch Du?

GOTT offenbart Sich,

indem ER Flöte spielt!

 

 

Lausche nun auf die Töne, die jetzt erklingen:

...

 

 

Mit diesem ersten Ton

bezeugt GOTT Seine eigene Existenz. 

Er tut kund, dass Er hier ist. 

Am Anfang war das Wort,

und dieses Wort schwingt als Klang.

Die Inder nennen diesen Ton „OM“,

die Sufis rufen „HU“. 

Dieser 1. Ton ist der Beweis:

Gott ist hier, gerade jetzt!

Als „OM“ oder „HU“ ruft GOTT Selbst:

„Ja, ICH bin!

ICH bin, der ICH bin!“

 

„HU!“

 

 

Lausche nun dem zweiten Ton:

...

 

 

Wenn der zweite Ton erklingt, so heißt das:

„Jetzt, da ICH als Subjekt die Gewissheit habe,

dass ICH objektiv existiere, 

erkenne ICH Mich Selbst.

ICH, das göttliche EINE,

nehme ausnahmslos Mich Selbst wahr.

ICH schaue in allem

Mich Selbst!“

 

 

Jetzt erklingt der dritte Ton:

...

 


Um Sich Selbst wahrnehmen zu können, zeigt Sich GOTT. 

Er tritt in Erscheinung, indem Er diesen dritten Ton anspielt. 

GOTT zeigt Sich unvermittelt, unumwunden und unverstellt

in aller Aufrichtigkeit, ohne etwas zu verbergen. 

Er zeigt Sich unmittelbar jetzt!

 

 

Höre nun auf den vierten Ton:

...

 

 

Alles, was in Erscheinung tritt,

benötigt Raum, um sich zeigen zu können.

Doch um das göttliche EINE herum befindet sich kein Raum,

denn neben dem EINEN existiert nichts,

also auch kein Raum. 

Mit dem vierten Ton öffnet GOTT deshalb Sein Herz.

GOTT weitet sein Herz ins Unendliche.

ER dehnt Sein Herz so weit aus,

dass alles, was sich zeigt,

in ihm Platz findet.

GOTT liebt bedingungslos!

 

 

Nun folgt der fünfte Ton:

...

 

 

Damit das Herz nicht dunkel bleibt,

und alles, was sich zeigt, auch sichtbar wird,

spielt GOTT den fünften Ton an.

Der 5. Ton besteht aus Licht.

Dieses Licht erstrahlt, 

wenn GOTT Sich unbeirrbar zu Eigenschaften bekennt,

die sich voneinander unterscheiden.

Jede Eigenschaft aber leuchtet in einem besonderen,

ihr eigenen Licht. 

Höre wie GOTT spricht:

„Gerade jetzt bin ICH genau so!“

 

 

Lausche jetzt dem sechsten Ton:

...

 

 

Mit diesem sechsten Ton

nimmt gemäß dem Willen GOTTES alles Form an,

was sich zeigt.

Die Schöpfung kann nur dann sichtbar werden,

wenn sie Gestalt annimmt,

und sich das Licht an Formen brechen kann! 

Da die Ewigkeit jedoch dem göttlichen EINEN vorbehalten ist,

verändern sich alle Formen unablässig.

Sie befinden sich kontinuierlich im Fluss des Geschehens

und fließen ständig ineinander über.

 

 

Höre, wie jetzt der siebte Ton erklingt:

...

 

 

Erst mit dem siebten Ton

wird die Schöpfung konkret

und als wirkliche Welt offenbar.

Was aber verleiht der Welt Bestand?

Und wer lebt in dieser Welt?

Das EINE und EINZIGE ist es,

nur das göttliche EINE. 

Das EINE belebt mit Seinem ewigen Leben alles Vergängliche. 

Nur weil das Ewige in allen vergänglichen Formen lebt

und sie mit Seiner Gegenwart durchdringt,

scheint die Welt Bestand zu haben!

 

Kein Ton aber erklingt für sich allein.

Im Spiel GOTTES

hat jeder Ton seinen Platz und seine Bedeutung.

Und der Zusammenklang aller Töne

ergibt die schönsten Melodien,

ohne dass sie sich je wiederholen würden! 

 

Wenn GOTT allein auf mir Seine Flöte spielt,

offenbart sich die wahre Welt,

so wie sie von GOTT gerade jetzt erschaffen wird.

Und ich befinde mich im Paradies!

Drängt ein Spieler der Flöte aber sein eigenes Spiel auf, 

erliegt er der Täuschung.

Er macht sich Illusionen, da er GOTT zurückweist

und sich so von der Wahrheit trennt. 

Vor seinen Augen erscheint dann eine illusionäre Welt

regiert von Lug und Trug.“

 

 

Beeindruckt von den Erläuterungen des Flötenspielers

ließ ich seine Worte tief in mich einsinken.

Ich nahm mir vor, bei Gelegenheit zu überprüfen,

welche Rolle GOTT in meinem Leben spielt.

 

 

Der Flötenspieler aber riss mich aus meinen Gedanken

und sprach: 

„Alles, was Du von mir wahrnimmst,

habe ich GOTT überlassen. 

Alles, was hier von mir in Erscheinung tritt,

gehört jetzt GOTT, dem EINEN!“

Er erhob sich und rief:

„Nun setze Du Dich auf meinen Platz und lausche,

wie GOTT auf Dir Flöte spielt!“

 

 

Ich kam seiner Aufforderung nach

und setzte mich nun selbst mitten auf der Lichtung in die Sonne.

Kaum berührte ich mit der Flöte meine Lippen,

erklang augenblicklich der erste Ton. 

Ich war hier!

Doch nicht ich als der Mensch,

für den ich mich bisher gehalten hatte,

war hier.

Alles, was ich als Mensch war, 

war die Flöte:

die schwingende und klingende Flöte. 

Und GOTT spielte nach Herzenslust auf mir.

Doch GOTT war kein "Anderer".

 

Mir wurde klar:

GOTT ist in mir und durch mich als BEWUSSTSEIN lebendig. 

Auch „ich“ bin nichts anderes, 

denn ich bin identisch mit diesem BEWUSSTSEIN.

 

GOTT bezeugt Sich Selbst

und spielt als ICH!