Das Feuer 

 

 

 

Er hatte in einer Welt gelebt,

in der die Menschen voneinander getrennt waren.

Jeder Mensch war der Mittelpunkt seiner eigenen Welt,

und alle anderen Menschen standen außerhalb dieser Mitte.

Jeder beurteilte jeden Anderen von seinem Standpunkt aus.

Jeder strebte zum Nachteil der Anderen nach Vorteilen für sich selbst.

So war jeder Täter wie Opfer zugleich.

Alles in dieser Welt war vergänglich,

und jeder, der etwas gewann, verlor es auch wieder.

Und jeder, dem Leben geschenkt war,

fand irgendwann auch den Tod.

 

Er aber erkannte,

dass es bei aller Vergänglichkeit auch etwas Bleibendes gab.

Doch dieses Bleibende und Unvergängliche lag jenseits dieser Welt.

Also verließ er diese Welt und machte sich in der Hoffnung,

das Unvergängliche zu finden, auf den Weg.

 

Er bestieg den Berg, der vor ihm lag.

Dieser Berg hieß „der Wahre“.

Er trug schweres Gepäck mit sich,

das ihn auf seinem Weg bergauf behinderte.

So ließ er, um voranzukommen, Stück für Stück hinter sich.

Sobald er aber ein Gepäckstück ablegte, löste es sich in Nichts auf.

Er erkannte, dass sein Gepäck aus nichts als Illusionen bestand.

So legte er alles ab, was er bei sich trug.

Befreit von seiner Last

stand er plötzlich unmittelbar vor dem Gipfel des Berges.

 

Der Gipfel war nicht sichtbar.

Und doch war er sich sicher, dem Gipfel nahe zu sein.

Mit jeder Illusion, von der er abgelassen hatte,

hatte sich sein Herz ein stückweit geöffnet.

Jetzt nahm er mit seinem Herzen wahr,

ja, er sah mit seinem Herzen.

Er sah den Gipfel des Berges mitten in seinem Herzen.

Er sah nicht nur den Gipfel des Berges.

Der Berg stand in all seiner Größe in seinem Herzen,

und er erkannte, dass dieser Berg in seinem Herzen

die von allen Illusionen erlöste Welt war.

 

Unvermittelt ertönte auf dem Gipfel des Berges eine Stimme,

die ihn fragte:

„Wer bist Du?“

 

Er warf sich nieder und gab zur Antwort:

„Alles, was vergänglich war, habe ich hinter mir gelassen,

um das Unvergängliche zu finden.

So ist nichts geblieben, von dem ich sagen könnte: 

das bin ich.

Jetzt frage ich mich selbst:

wer bin ich?“

 

Es herrschte Stille.

Die Stille umgab ihn.

Die Stille war in ihm.

Er selbst war die Stille.

Er war sich dieser Stille bewusst,

und die Stille war real.

Nur die Stille war real.

Die Stille war der Zeit enthoben.

Die Stille war genau jetzt gegenwärtig.

Sie war kontinuierlich gegenwärtig.

So war auch er gegenwärtig, kontinuierlich gegenwärtig.

Die Stille war ein Raum:

ein Raum ohne oben und unten,

ohne vorn oder hinten,

ohne rechts oder links.

Der Raum war real, doch es gab nichts,

woran er sich hätte messen lassen.

Keinerlei Grenzen waren ihm gesetzt.

Der Raum war anwesende Unendlichkeit.

Er selbst war dieser Raum.

Doch der Raum war nicht leer.

Der Raum war ausgefüllt mit Liebe, lückenlos.

Die Liebe durchdrang alles,

was in diesem Raum in Erscheinung trat.

Bedingungslos gewährte sie allem Raum, was sich zeigen wollte.

Er selbst war das, was sich zeigte.

Er bekannte sich: ja, ich bin!

Es war sein Wille, sich selbst zu bezeugen.

Er bezeugte:

„Ich bin die Stille.

Ich bin das Bewusstsein.

Ich bin, was sich zeigt.

Ich bin der Raum, in dem alles in Erscheinung tritt,

und der alles umfasst, was sich zeigt.

Ich bin die Liebe, die alles durchdringt.

Ich bin das Bekenntnis: Ich bin!

Ich bin der Wille, mich selbst zu bezeugen.

Ich bin der Berg, auf den ich gestiegen bin.

Ich bin die Wahrheit.

Ich bin als Wahrheit offenbar!

 

Er erkannte, dass es zwischen ihm und seiner Erkenntnis

keinen Unterschied gab.

Er selbst war die Erkenntnis,

er war die Selbsterkenntnis.

 

Er tauchte in seine Selbsterkenntnis ein

und verschmolz mit ihr.

 

Plötzlich fing er Feuer und brannte.

Das Feuer ergriff ihn ganz und gar.

Nichts von ihm blieb unberührt.

Alles an ihm verbrannte, was noch zwei gewesen war.

Alles, was noch getrennt und unvereinbar erschien, verbrannte.

Nur eines blieb: das Feuer. Er selbst war das Feuer.

 

Das Feuer war ein helles, gleißendes Licht.

Er selbst war das Licht,

und das Licht war das EINE und das EINZIGE.

 

In diesem Licht erkannte das EINE Sich Selbst,

und Es sprach zu Sich Selbst:

 

„ICH bin das EINE.

Neben Mir gibt es kein Zweites.

ICH bin hier.

Es gibt kein Anderswo.

ICH bin jetzt und auf ewig gegenwärtig.

Es gibt kein Irgendwann.

ICH bin Mir Meiner Selbst bewusst.

Mein Bewusstsein ist Meine Substanz,

die einzig existierende Substanz.

ICH zeige Mich unmittelbar.

Meine Aufrichtigkeit ist durch nichts zu beeinträchtigen. 

ICH zeige Mich in dem Raum,

den Mein Bewusstsein aufspannt.

In diesem Raum geht nichts verloren,

denn dieser Raum ist Mein Herz.

Und nichts anderes zeigt sich in diesem Raum

als ICH Mich Selbst.

So bin ICH Selbst die Liebe,

die alles umfasst und alles durchdringt.

ICH Selbst bekenne Mich zu Mir Selbst:

ICH BIN!

So bin ICH das Licht, in dem ICH sichtbar bin,

das einzige Licht.

Es ist Mein Wille, so zu sein, wie ICH bin,

und mich so zu zeigen, wie ICH bin.

So bin ICH mit Mir Selbst in Einklang.

ICH bin offenbar in allem, was sichtbar ist,

in allem, was existent ist.

ICH vereine das Verborgene und das Offenbare,

denn ICH bin gleichzeitig das Verborgene und das Offenbare.

ICH bin die WAHRHEIT.

ICH bezeuge Mich Selbst.

ICH BIN,

ICH allein 

und einzig ICH!

 

Moses erkannte:

Ich bin der Beweis!

 

 

 

23.2.2012