Am Scheideweg 

 

 

 

Auf meiner Suche nach Gott stieß ich auf eine Weggabelung.

Einen Hinweis darauf, wohin die beiden Wege führten,

konnte ich nirgendwo erkennen.

Da ich nicht in die Irre gehen wollte, hielt ich ratlos inne.

Plötzlich entdeckte ich einen alten Mann, der meinem Blick bisher entgangen war.

Er schien über die Weggabelung zu wachen.

Da er mich freundlich anblickte, ging ich auf ihn zu und fragte ihn,

ob er wisse, in welche Richtungen die beiden Wege führen.

 

„Vor Dir liegen zwei Wege“, sprach der Alte zu mir,

„der lange und der kurze Weg.

Welchen von beiden Wegen Du gehst,

ist aber nicht wirklich Deine Entscheidung.

Der kurze Weg ist dem EINEN vorbehalten.

Der kurze Weg ist nicht wirklich ein Weg.

Er zeugt vom Ankommen. 

Der kurze Weg ist das SELBSTzeugnis des EINEN:

 

„ICH BIN! Genau hier und gerade jetzt bin ICH das EINE! 

Einzig ICH bin das EINE!“ 

 

Mit anderen Worten: Der kurze Weg ist Gott vorbehalten.

 

Ich frage Dich,“ sprach der Alte weiter,

„lebt in Dir die Gewissheit,

dass neben Dir als Subjekt kein einziges Objekt existiert?

Oder ist außer Dir noch etwas Anderes vorhanden?

Wenn Du die zweite Frage bejahst,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

Doch gräme Dich nicht!

Sobald Du Dir Deiner als reines Subjekt bewusst wirst,

stehst Du erneut vor einer Weggabelung.

Auch ich bin dann gegenwärtig!

 

Ich frage Dich weiter:

Befindest Du Dich in einem Zustand objektlosen Gewahrseins?

Oder nimmst Du um Dich herum Objekte wahr? 

Wenn Du auch nur ein einziges Objekt wahrnimmst,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

 

Überprüfe jetzt:

Treten neben Dir Objekte in Erscheinung?

Oder zeigst Du Dich ausschließlich selbst?

Wenn Du glaubst,

dass zeitlich vor Dir, gleichzeitig mit Dir

oder nach Dir Objekte Bestand haben,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

 

Nun frage Dich:

Liebst Du bedingungslos alles, was ist,

in der Gewissheit, dass Dein Subjektsein allumfassend ist?

Oder bist Du gegenüber manchem im Widerstand

und gibt es für Dich Objektives, das Du ablehnst?

Wenn du auch nur den geringsten Widerstand in Dir entdeckst,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

 

Bekennst Du Dich vorbehaltlos zu Deinem Subjektsein?

Oder glaubst Du, ein Objekt zu sein,

das Du beschützen musst?

Wenn Du zu Dir selbst eine Objektbeziehung hast,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

 

Überprüfe:

Bist Du einem Geschehen ausgeliefert?

Existiert für Dich objektiv Benennbares,

das Macht über Dich besitzt?

Oder ist Deine pure Subjektivität die einzig existierende Macht?

Solange Du Dich für ein Opfer hältst

und glaubst, dass es unterwerfbare Objekte gibt,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

 

Gibt es losgelöst von Dir eine konkrete Welt?

Oder manifestiert Du gerade jetzt die Welt in Dir?

Solange Du die Welt als eine Folge von Naturgesetzen, von Zufällen

oder als Ergebnis einer fremden Schöpfertätigkeit objektivierst,

befindest Du Dich auf dem langen Weg.

 

Der lange Weg aber ist nichts als Illusion.

Wenn alle Illusionen ausnahmslos durchschaut sind,

und wenn alle Identifikationen

mit einzelnen Inhalten und Objekten aufgelöst sind,

erweist sich das Bewusstsein als vollkommen rein.

Dieses reine Bewusstsein hat keine Fragen und keinerlei Zweifel mehr.

Es erweist sich als identisch mit zweifelsfreier Gewissheit.

Diese Gewissheit kennt keine Objektbezogenheit

und erweist sich als identisch mit absoluter, objektloser Subjektivität.

Diese Identität von reinem Bewusstsein,

zweifelsfreier Gewissheit und objektlosem Subjektsein

bin ICH.

 

Nun gehe Du Deinen Weg.

Gehe den Weg, der sich Dir unmittelbar auftut.

Entscheidend ist, dass Du willens bist, Deinen Weg zu gehen.

Ich versichere Dir, wir werden uns wiedersehen!“

 

Kaum hatte der alte Mann das letzte Wort gesprochen,

schlug er den kurzen Weg ein

und war augenblicklich meinen Blicken entschwunden.

 

    

 

 

23.2.14